Erasmus und die AfD – Gegensätze ziehen sich an

Die 2013 gegründete Partei hat sich weit von ihrem eurokritischen Hauptthema entfernt und hat spätestens seit 2015 ihren Hauptfokus auf Migration gelegt. Auf ihrem 9. Parteitag am 30.06.2018 haben sich die Forderungen enorm verschärft: Neben den sich seit drei Jahren wiederholenden Merkel-muss-weg-Rufen verlangt Alexander Gauland „Hier muss ein ganzer Apparat, ein ganzes System, eine ganze Mentalität weg!“

Diese vielleicht revolutionär klingende Zeile aus der Eröffnungsrede des Parteivorsitzenden muss aber im Kontext betrachtet werden. Innerhalb der Rede werden immerzu Anknüpfungspunkte zwischen der aktuellen Bundesregierung und der Diktatur der DDR angebracht, wobei scherzhaft betont wird, dass es keinen direkt benannten Vergleich zwischen den Führungsspitzen der BRD und der DDR gibt – um womöglich strafrechtlicher Verfolgung aus dem Wege zu gehen. Der Ton wird schon fast verschwörungstheoretisch, wenn es gegen Ende der Rede heißt „Wir befinden uns in einem Kampf gegen Kräfte, die ein globalistisches [sic!] Programm der Nationenauflösung und der ethnisch-kulturellen Vereinheitlichung verfolgen. […] Es geht uns einzig um die Erhaltung unserer Art zu leben und zu sein.“

Doch wie möchte die AfD als größte Oppositionspartei ihre Ziele verfolgen? Neben öffentlichkeitswirksamen Auftritten in den sozialen Netzwerken, die oft aus geteilten Videos bestehen, in denen Bundestagsredner:Innen der AfD ihre Gegenredner:Innen vermeintlich „zerlegen“, werden kleine Anfragen gestellt. Mithilfe dieses Instrumentes kann die Opposition die Bundesregierung dazu veranlassen, Rechenschaft über ihr Handeln abzulegen. Somit sind die kleinen Anfragen eine Form der Kontrolle. Doch die Alternative für Deutschland nutzt diese Möglichkeit überwiegend, um Fragen zu ihrem aktuellen Hauptthema Migration zu stellen.

Das Augenmerk der AfD fällt nunmehr auf Schulen. Eine parteinahe Stiftung soll wie bei allen etablierten Parteien politische Bildung betreiben. Die SPD ehrt mit ihrer Friedrich-Ebert-Stiftung den ersten Reichspräsidenten der Weimarer Republik, die CDU ehrt mit ihrer Konrad-Adenauer-Stiftung einen ihrer Gründerväter – und die AfD? Sie benannte ihre Stiftung nach Erasmus von Rotterdam. Der Gelehrte der Renaissance und Vertreter des Humanismus, der mit seinem kritischen Denken der europäischen Aufklärung den Weg bereitete, wird somit zum Namensgeber der rechtspopulistischen und national-konservativen Partei.

Erasmus von Rotterdam wird auf der Internetpräsenz der Stiftung als „Verfechter ausgeprägter religiöser Toleranz“ beschrieben. Bemerkenswert ist, dass sich im Kuratorium der Stiftung Angelika Barbe befindet. Die DDR-Oppositionelle gehörte erst der SPD, dann der CDU und heute der islam- und fremdenfeindlichen Bewegung Pegida an. Erasmus von Rotterdam wird weiter wie folgt beschrieben: „Er legte Wert auf Neutralität und Toleranz.“ Inwiefern das Alexander Gaulands lang bejubelte Aussage von der „Erhaltung unserer Art zu leben und zu sein“ wiederspiegelt, bleibt fraglich.

Die Stiftung möchte durch Wochenendseminare, Vorträge und Publikationen politische Bildung vermitteln, als Beratungsagentur eine „alternative Politik“ fördern und durch Stipendien „zur Zukunftsfähigkeit unseres Landes“ beitragen. Sie hat jedoch bislang nur mit dem Organisieren von Vorträgen begonnen. Dabei werden Sachkundige mit Doktortiteln eingeladen um kritisch über Migrationspolitik und andere Themen zu referieren. Auch wurde Dieter Stein eingeladen, um über neue Medien zu referieren. Er ist Chefredakteur der Jungen Freiheit, des Sprachrohrs der Neuen Rechten.

Durch „bildungspolitische“ Aktivitäten der Erasmus-Stiftung hat die AfD die Möglichkeit, ein neues Geschichtsbild zu kreieren und somit geschichtsrevisionistischen Strömungen im Stil von Björn Höcke und Alexander Gauland Einzug in Klassenzimmer zu gewähren. In Zukunft hat die AfD zudem die Möglichkeit, Lobbyarbeit zu betreiben, was durch die staatliche Finanzierung für Parteistiftungen wohl erleichtert wird. Der Stiftung stehen wohl bald 80 Millionen Euro Steuergelder zur Verfügung.

Das Wettern gegen parteinahe Stiftungen hat somit wohl ein Ende, denn die AfD macht selbst von diesem etablierten Mittel der Meinungsbildung Gebrauch. Ob die Oppositionspartei auch bald aufhört, parteipolitische Privilegien zu kritisieren, bleibt fraglich. Wohl wird dies nur solange der Fall sein, wie sie diese Privilegien nicht selbst in Anspruch nimmt.

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