Schüler- und Studentenproteste in Bangladesch Ende Juli / Anfang August 2018

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Am 29. Juli, um etwa 12.30 Uhr Ortszeit rast ein Bus in Dhaka, der Hauptstadt Bangladeschs in eine Studentenmenge. Zwei von ihnen sind auf der Stelle tot, weitere sieben werden zum Teil schwer verletzt.1 In der Folge ergießt sich eine Welle von Protesten über die Stadt und den Rest des Landes, die über eine Woche anhalten werden.

Diese Proteste dienen als Katalysator für jahrelang aufgestaute Unzufriedenheit mit der Regierung – sagt Shahidul Alam, ein weltweit renommierter Photojournalist, in einem Interview am 04. August.2 Seine Vorwürfe sind weitreichend; „[Die Regierung] hat nicht wirklich ein Mandat, hält sich aber mit roher Gewalt. [D]as Verschwinden [von Personen], der Zwang, Schutzgeld zu zahlen [und] Bestechung auf allen Ebenen“ seien auch verantwortlich gewesen für Proteste, die Alam in Verbindung mit den Demonstrationen Anfang August bringt. Im April hatten in Bangladesch große Proteste gegen Vetternwirtschaft stattgefunden, die brutal niedergeschlagen worden seien, so Alam. Die Premierministerin von Bangladesch, Hasina Wajed, habe damals zwar Reformen versprochen – sei jedoch später wieder von diesen abgerückt. Damit erklärt er die zum Zeitpunkt des Interviews bereits Tage anhaltende, kriegsähnliche Situation in Dhaka; die Premierministerin habe ihre Glaubwürdigkeit endgültig verspielt.

Nur Stunden nach dem Interview wird Shahidul Alam von mehreren Männern in Zivil mit verbundenen Augen abgeführt. Handys von Augenzeugen werden konfisziert.3

Die innenpolitische Situation in Bangladesh ist insgesamt also äußerst angespannt: „Das politische Leben ist von tiefen Kluften zwischen den beiden größten Parteien (Bangladeschs Nationalistischer Partei und Bangladeschs Awami League) und einer extremen Politisierung der Wirtschaft und des öffentlichen Dienstes geprägt, die sich in Korruption und Vetternwirtschaft und in regelmäßigen Ausbrüchen politischer Gewalt zeigt.“ So urteilt die Bundeszentrale für politische Bildung in ihrem Länderprofil-Bericht 2015.4

In einer Analyse der Hintergründe der Proteste wurden erschreckende Zahlen zur Verkehrssicherheit in Bangladesch genannt: so beläuft sich die Zahl der Verkehrstoten pro Tag auf durchschnittlich 20. Im Jahr 2017 sollen alleine 4.200 Fußgänger getötet worden sein.

Laut einer Studie der Weltgesundheitsorganisation ist Bangladesch dasjenige südostasiatische Land mit den schlechtesten Gesetzen für Verkehrssicherheit5.

Schlechte Gesetzgebung, fehlende – beziehungsweise korrupte – Kontrollinstanzen sowie schlechte Arbeitsbedingungen der Busfahrer (Schichten von 17 Stunden für einen Stundenlohn von weniger als einem Dollar6). Der Generalsekretär der Straßentransport-Gesellschaft hat nun zugesichert, keine Fahrer ohne Führerschein mehr einzustellen.7

Vor diesem Hintergrund verwundert es sicher nicht, dass die Tode durch den Busunfall am 29. Juli zu weitreichenden Protesten führten.

Laut Medienberichten8 blockierten zehntausende Schüler und Studenten in den folgenden Tagen die Straßen der Hauptstadt Dhaka. Dabei ließen die Protestierenden nur Krankenwagen passieren und kontrollierten tausende Fahrzeugpapiere ziviler Fahrer.9

Dabei wurden jedoch auch die Fahrzeuge von Beamten gestoppt, etwa der stellvertretende Generalinspekteur der Flusspolizei Habib. Auch sein Fahrer hatte keinen Führerschein, das Fahrzeug keine Registrierung.10

Aber nicht nur auf den Straßen in Dhaka waren die jungen Demonstrierenden aktiv, sondern ganz wesentlich auch im Internet: auf Blogs, gehackten Webseiten und durch Live-Update-Services riefen sie die Welt zur Aufmerksamkeit für ihre Situation auf. Dabei fielen immer wieder Vorwürfe auch gegenüber westlichen Medien, wissentlich keine Berichte über die Proteste in Dhaka zu publizieren.

Nicht nur, dass die Regierung als Antwort auf die Proteste zuerst Mobilfunknetzwerke verlangsamen (sog. ‚brown-outs‘) und schließlich für mindestens 24 Stunden abschalten ließ11; in dem Versuch, die Ausbreitung und das Andauern der Proteste zu verhindern, griff die Polizei schließlich zu Tränengas, Gummiknüppeln und Gummigeschossen.

Generell hat jeder Staat das Recht, unangemeldete Proteste, besonders in einem Fall wie diesem, in dem wichtige Verkehrsknotenpunkte der Hauptstadt eines Landes für mehrere Tage unbenutzbar sind, zu unterbinden. Was sich aber am Wochenende des 04. und 05. Augustes und den darauffolgenden Tagen in Dhaka ereignete, ist eine Magnitude nicht nur über dem, was sich ein Staat zur Erhaltung der Rechtsstaatlichkeit erlauben kann; was folgte, waren nicht nur Verletzungen des Rechts auf freie Meinungsäußerungen. Als sich die Bangladesh Chatra League, die Studentenorganisation der Regierungspartei Awami League in die Proteste einmischte – ihre Gesichter durch Helme geschützt und mit Stöcken bewaffnet, mit Unterstützung der Polizei, beginnt eine neue Ebene der Gewalttätigkeit gegenüber den Protestierenden.12

Die gehackte Webseite des Notre-Dame-College in Dhaka enthielt am Abend des 04. August folgende Nachricht:

Dear Bangladesh Prime Minister and Principals, [d]id you achieve the peace by Beating. Killing. Raping Teen Students? Bangladesh Chatra League attacked innocent college Students in Jigatola Dhanmondi today 04/08/18.“13

Darunter sind Bilder verletzter Protestierender abgebildet; blutende Menschen werden von anderen getragen und versorgt. Einer liegt reglos mit dem Gesicht nach unten auf dem Boden – in einer Lache seines eigenen Blutes. Ein verlinktes Video zeigt ein Mädchen, das berichtet, dass zum Zeitpunkt des Filmens ihre Freundin in einem Büro der Awami League vergewaltigt wird.14

The Daily Star veröffentlicht ein Video auf Youtube, in dem Männer mit Stöcken zu sehen sind. Als sie bemerken, dass sie gefilmt werden, laufen sie auf die Kamera zu – das Video bricht ab.15

Nach Berichten der BBC wurden auch Mitglieder der lokalen Presse von den Schlägern der BCL angegriffen. Ihre Kameraausrüstungen wurden zerstört, und eine weibliche Reporterin berichtet auch von sexuellen Übergriffen, während sie versuchte, die Konfrontationen auf der Straße zu filmen.16

Ein privater Blog, der augenscheinlich von Studenten betrieben wird, errechnet die mutmaßlichen Opferzahlen am siebten Tag der Proteste:

4 male students have been shot dead, 4 female students have been raped and murdered, 1 male student had his eyes clawed out, 40–50 of female students are still missing. These are however not verified news […] but I trust what my friends and classmates are saying.“17

Es ist nicht klar, wie viele von diesen Berichten verifiziert werden können. Dass das Ausmaß der Gewalt jegliche Regelhaftigkeit überschritten hat, ist jedoch am Wochenende nach dem 29. Juli längst keine Frage mehr.

Die internationale und mediale Reaktion ließ angesichts dieser Umstände unverhältnismäßig lange auf sich warten. Am Sonntag, dem 05. August veröffentlichten die Vereinten Nationen einen Mitteilung, sie sei bezüglich der „Sicherheit von Kindern und jungen Demonstrierenden“ besorgt.18

Die US-amerikanische Botschaft veröffentlichte ein Statement auf Facebook, indem sie die „brutalen Attacken und Gewalt“ gegenüber Demonstrierenden verurteilte19. Der Informationsminister von Bangladesch forderte die Botschaft auf, diese Stellungnahme zurückzunehmen; sie sei „unhöflich“20.

Die Vorfälle in Bangladesch regen zum Nachdenken an. Ein Staat gibt seine Rechtsstaatlichkeit auf und geht gewaltvoll gegen Protestanten/innen vor. Das Recht auf freie Meinungsäußerung oder die Einhaltung der Pressefreiheit ist in diesem Land längst nicht mehr vorhanden. Es stellt sich die Frage, warum die Berichterstattung insbesondere auch von den westlichen Nationen so zurückhaltend ausgefallen ist.

Ist es denn nicht gerade in diesen Fällen umso wichtiger, auf die Situation und die Vorfälle aufmerksam zu machen? Ist eine Einschüchterung womöglich eine Bestätigung für die Peiniger? Vielleicht müssten diese und viele weitere Punkte zu dem Thema deutlich ausführlicher auch in den deutschen Medien besprochen werden. Das Wegschauen wäre definitiv die falsche Lösung!

Quellen:

1 https://www.dhakatribune.com/bangladesh/dhaka/2018/07/29/2-students-killed-in-dhaka-road-accident

2 https://www.youtube.com/watch?time_continue=17&v=J9j3EgLm62Q

3 https://www.washingtonpost.com/news/democracy-post/wp/2018/08/20/heres-why-the-bangladeshi-government-made-a-huge-mistake-by-jailing-shahidul-alam/?noredirect=on&utm_term=.56443d7bcb49

4 http://www.bpb.de/system/files/dokument_pdf/L%C3%A4nderprofil%20Bangladesch_2015.pdf

5 http://www.who.int/violence_injury_prevention/road_safety_status/2015/Road_Safety_SEAR_4_for_web.pdf

6 https://www.reuters.com/article/bangladesh-protests-drivers/rpt-overworked-underpaid-bangladesh-bus-drivers-say-accidents-not-entirely-their-fault-idUSL4N1V41YA

7 ebd.

8 https://www.reuters.com/article/us-bangladesh-protests/bangladesh-police-fire-tear-gas-to-clear-protesters-blocking-traffic-idUSKBN1KQ098

9 https://medium.com/@studentofdhaka/bangladesh-wants-justice-da027e539c8a

10 https://www.thedailystar.net/city/students-stop-police-dig-finds-no-license-or-papers-students-block-streets-in-dhaka-1614904

11 https://www.bbc.com/news/world-asia-45069935?SThisFB

12 http://www.banglanews24.com/national/article/70017/Protesting-students-come-under-attack-at-Jhigatola

13 http://archive.is/MZEhf#selection-24.3-12.1

14 https://drive.google.com/file/d/1B5Fz2SIgtZty7u1nK3XjYuF28HIY2CFr/view

15 https://www.youtube.com/watch?v=QQ29Rb53nD0

16 https://www.bbc.com/news/world-asia-45069935?SThisFB: Namentlich bekannte Opfer der Presse: AM Ahad (AP), Zawad (Daily Janakantha), Palash (Banik Barta), (Zuma Press), Sharif (Dainik Naya Diganta), Rahat (selbstständig) und Enamul Hasan, ein Fotografiestudent (Pathsala South Asian Media institute)

17 https://medium.com/@studentofdhaka/bangladesh-wants-justice-da027e539c8a

18 https://en.prothomalo.com/bangladesh/news/181088/UN-urgently-calls-upon-all-to-keep-everyone-safe

19 https://www.reuters.com/article/us-bangladesh-protests/bangladesh-demands-u-s-embassy-withdraw-criticism-over-protests-idUSKBN1KT1ST

20 ebd.

Die Spirale der amerikanischen Kriegswirtschaft

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Das 20. Jahrhundert bleibt in Erinnerung als ein von Kriegen geplagtes, von Aufrüstung geprägtes, anfangs multipolares, letzlich als unipolares Zeitalter. Die beiden Weltkriege und der darauf folgende Kalte Krieg haben Strukturen hinterlassen, industrielle Strukturen der Rüstungsindustrie. Marktteilnehmer mit Gewinnerzielungsabsichten aus dem Verkauf von Waffensystemen, wie Massenvernichtungswaffen. Lockhead Martin (Umsatz > 40 Milliarden), Boeing (Umsatz > 30 Milliarden) und BAE System (Umsatz > 25 Milliarden) sind die drei größten Rüstungskonzerne weltweit und profitieren enorm von den horrenden Militärausgaben der USA. Diese betrugen im Jahr 2017 über 610 Milliarden Euro (vgl. China: 228, Saudi Arabien 69,4, Russland 66,3) und sie steigen regelmäßig an, wobei die privaten Investitionen in Waffen sogar noch außen vor stehen.

Doch warum benötigen die USA ein Budget, das fast so groß ist, wie das Chinas, Saudi Arabiens, Russlands, Indiens, Frankreichs, Großbritanniens, Japans und Deutschlands zusammengenommen? Die USA gelten nicht zuletzt Aufgrund ihrer militärischen Überlegenheit als einzige Supermacht. Diese setzt sich zum einen aus den zahlreichen Militärbasen, etwa 1.000 in anderen Ländern, mit über 250.000 Einheiten als stehendes Heer überall weltweit verteilt, zusammen. Zum anderen sind die amerikanischen Waffensysteme am weitesten entwickelt. Um diesen Status aufrecht erhalten zu können, müssen die privaten Rüstungskonzerne mit Aufträgen bedient werden, denn so werden sie finanziert und können noch höher entwickelte Waffensysteme bauen. Doch diese Industrie braucht als Rechtfertigung derartiger Ausgaben jederzeit einen Gegner, der die Vereinigten Staaten von Amerika bedroht, denn ohne einen solchen bräuchte man kein großzügig ausgerüstetes Militär.

Vor allem der Zweite Weltkrieg rechtfertigte enorme Militärausgaben, da die Befreiung Europas vom Hitlerregime wohl jedem Menschen als legitimer Grund einleuchtete, die Verteidigungsausgaben zu erhöhen.

Diese riesige Industrie hat mittlerweile allerdings weitere Interessen hervorgerufen, denn etwa 3,5 Millionen Menschen arbeiten in dieser Branche, alleine in den USA. Too big to fail. Dieser Satz ruft Gewissenskonflikte bei Politikern hervor. Wird die hauptsächlich staatlich abhängige Branche im Sinne der Abrüstung geschwächt, geht damit einher, dass Arbeitsplätze verloren gehen. Doch was bedeutet es, wenn Politiker sich für die Erhaltung dieser Arbeitsplätze entscheiden und somit Teil des militärisch-industriellen Komplex werden? Konflikte werden vorzugsweise militärisch gelöst, nicht diplomatisch. Krisenherde werden angefacht, indem die beiden feindlichen Parteien aufgerüstet werden und Kriege ausgelöst, damit der Profit weniger Unternehmen steigt. Wie schon angesprochen, sind diese zusätzlichen Finanzspritzen essentiell für die amerikanische Vormachtstellung, denn nur so können Lockhead Martin und Konsorten Weltmarktführer bei modernen Waffensystemen bleiben und der Fortschritt der USA gegenüber der Welt erhalten bleiben.

Damit diese Spirale vor der Bevölkerung gerechtfertigt werden kann, müssen immer neue Feindbilder entstehen. Diese werden von Teilen der Presse, der Filmindustrie und der Politik, welche teilweise zum militärisch-industriellen-Komplex gezählt werden können, geschaffen. Immer wird das amerikanische Volk bedroht, anfangs von anderen Nationalstaaten, mittlerweile vom Terrorismus. Dies geschieht alles anhand der Pauschalisierung von komplexeren Zusammenhängen, indem Konflikte mit verschiedensten Interessen und Hintergründen heruntergebrochen werden, auf den “Guten” und den “Bösen”. Hollywood hat keinen geringen Anteil an dieser Darstellung, sie wurden vom Militär mit einer einfachen Maßnahme instrumentalisiert. Wer kritische Filme, mit Inhalten drehen möchte, die dem Militär missfallen, bekommt keine Gerätschaften, wie moderne Panzer und Helikopter zur Verfügung gestellt und ist somit kaum konkurrenzfähig, gegenüber Filmen mit positiver Darstellung vom Militär. Letztere bekommen diese Mittel fast kostenfrei bereitgestellt.

Dwight D. Eisenhower, einer der wichtigsten Generale des US-Militärs im Zweiten Weltkrieg, bekleidete von 1953-1961 das Amt des 34. US-Präsidenten und richtete sich in seiner Abschiedsrede 1961, mit viel beachteten Worten an das amerikanische Volk. Er warnte die Welt vor der enormen Macht des militärisch-industriellem Komplex:

“Guten Abend, meine lieben Landsleute,

(…)

Krisen wird es immer geben. Ob die Krisen nun im Ausland auftreten oder hier im Inland, ob sie groß sind oder eher klein: immer wieder ergibt sich die Versuchung anzunehmen, dass spektakuläre und kostspielige Aktionen als wundersame Lösung aller auftretenden Probleme die geeigneten Mittel sind.

(…)

Ein lebenswichtiges Element zur Erhaltung des Friedens stellt das Militär dar. Unsere Bewaffnung muss machtvoll sein, bereit für rasche Einsätze, sodass kein möglicher Angreifer versucht sein könnte, seine eigene Zerstörung zu riskieren.

Die Organisation unseres Militärs heutzutage ist nicht mehr vergleichbar mit jener, die man zu Zeiten meiner Vorgänger in Friedenszeiten gekannt hat, oder auch bei den kämpfenden Männern im Zweiten Weltkrieg oder im Koreakrieg.

Bis zu unseren letzten Weltkonflikten besaßen die USA keine eigene Rüstungsindustrie. Amerikanische Hersteller von Pflügen konnten beizeiten, wenn es erforderlich war, aber auch Schwerter herstellen. Jetzt aber können wir uns keine improvisierte Produktion für die nationale Verteidigung mehr erlauben; wir sind gezwungen gewesen, eine permanente Rüstungsindustrie von gewaltigen Größenordnungen aufzubauen. Obendrein sind jetzt dreieinhalb Millionen Menschen im Verteidigungssektor beschäftigt. Wir geben jedes Jahr für nationale Sicherheit einen höheren Betrag aus, als alle amerikanischen Konzerne zusammengenommen netto einnehmen.

Diese Verbindung eines gewaltigen Militärapparates mit einer großen Rüstungsindustrie stellt eine neue Erfahrung in den USA dar. Der gesamte Einfluss – wirtschaftlich, politisch, ja sogar spirituell – wird wahrgenommen in jeder Stadt, in jedem Parlament unserer Bundesstaaten und jeder Behörde der Bundesregierung. Wir erkennen die Notwendigkeit dieser Entwicklung an. Wir dürfen aber auch nicht die Augen verschließen gegenüber ihren schwerwiegenden Folgen. Alle unsere Bemühungen, Mittel und Existenzgrundlagen sind betroffen; das gilt auch für die Struktur unserer Gesellschaft.

In den Gremien der Regierung müssen wir uns verwahren gegen die Inbesitznahme einer unbefugten Einmischung, ob angefragt oder nicht, durch den Militär-Industriellen Komplex. Das Potential für die katastrophale Zunahme deplatzierter Macht existiert und wird weiter bestehen bleiben.

Wir dürfen niemals unsere Freiheiten und demokratischen Prozeduren durch das Gewicht dieser Konstellation in Gefahr bringen lassen. Nur eine wache und kluge Bürgerschaft kann das richtige Zusammenwirken der gewaltigen industriellen und militärischen Verteidigungsmaschinerie mit unseren friedlichen Methoden und Zielen erzwingen, sodass Sicherheit und Freiheit miteinander gedeihen mögen.

Danke, und gute Nacht.”

Heute gibt es Hoffnung auf eine anwachsende Generation, die sich der NRA (National Raffle Association) erhobenen Hauptes entgegenstellt und etwas gegen die Verbreitung von Waffen, zumindest im privaten Bereich der USA tun möchte. Allein in Washington gingen 2018 über 800.000 junge Menschen gegen die Waffenlobby auf die Straße und demonstrierten für mehr Sicherheit.

 

Wir müssen verstehen lernen, warum Zusammenhänge in ihrer Form medial dargestellt werden, welche Interessen vertreten werden und was diese Interessen für Folgen haben können. Niemand kann sich hiervon freisprechen, denn es betrifft jeden von uns!

 von L. Herteux

„Empört euch!“

Unter diesem Titel hat Stéphane Hessel 2010 sein 19-seitiges Büchlein in Deutschland veröffentlicht, das er ursprünglich auf Französisch geschrieben hatte. Der damals 93-Jährige erklärt 2010 in einem Interview, welches er in solidem bisweilen stockendem Deutsch gibt, dass sein Buch entgegen jeder Erwartung nicht nur bei alten Franzosen Gefallen fand, sondern besonders junge Menschen in ganz Europa polarisierte – alleine in Frankreich wurden zwei Millionen Exemplare verkauft. 1917 wurde er als Stephan Hessel in Berlin geboren. Als er sieben Jahre alt war, zog seine Familie nach Paris. In Frankreich schloss er sich 1941 der Resistance an. Als Widerstandskämpfer gegen die NS-Besatzung wurde Hessel 1944 ins Konzentrationslager Buchenwald deportiert. Nach Ende des zweiten Weltkrieges wurde er Diplomat und vermittelte in zahlreichen Konflikten.

Dass Hessel vor allem die Themen Entwicklungshilfe, Demokratie und Menschenrechte besonders wichtig waren, wird in seinem Buch „Empört euch!“ deutlich. Ausgehend von seiner Lebensgeschichte beginnt er auf eine spannende Art und Weise, eine Gesellschaft zu fordern, auf die man stolz sein kann. Diese besteht für ihn aus Toleranz, sozialer Gerechtigkeit und Freiheit der Medien. Der Widerstand habe sich jedoch gewandelt und sei gewaltfrei geworden. So haben sich etwa junge französische Lehrkräfte friedlich gegen Reformen gewehrt; sie waren ungehorsam; haben sich empört.

Im Stile eines Essays fährt Hessel fort und kritisiert den aktuellen Finanzmarkt. Die Banken würden sich aufgrund ihrer Privatisierung nur noch für ihre Dividenden interessieren und das Gemeinwohl vollkommen außer Acht lassen. Immer wieder scheint ein erzählerisches Pathos durch, wenn er von seiner Vergangenheit berichtet. Dies ist jedoch keineswegs senil und ermüdend. Vielmehr werden die Ereignisse seines bewegten Lebens als Ausgang für seine heutigen Ansichten dargelegt.

Richtete sich Stéphane Hessels Empörung im Widerstand gegen ein Regime des Unrechts, so wünscht er sich, dass sich die Jugend heute ihre Herzensangelegenheit sucht, um in den Diskurs zu kommen, sich gegenseitig zu stärken und sich schließlich zu engagieren. Wie man dies tun kann, steht in dem Buch „Engagez-vous!“ („Engagiert euch!“), das er 2011, zwei Jahre vor seinem Tod, veröffentlichte.

Hier findest du das Buch auf…

Französisch 

Deutsch 

#MeTwo – „Der Dominostein ist ins Rollen gebracht worden“

Seit 10 Tagen verbreitet sich über Twitter der Hashtag #MeTwo, bei dem Menschen von ihren Rassismuserfahrungen berichten. Mittlerweile haben über 40.000 Menschen mit Migrationshintergrund zu ihren Erfahrungen von Diskriminierung und Rassismus im Alltag Stellung bezogen. Der Journalist und Aktivist Ali Can hat die Debatte ins Leben gerufen. Er hat bereits vor einiger Zeit eine Hotline für besorgte Bürger eingerichtet, bei der sich Menschen über die Themen Integration, Flüchtlinge uvm. austauschen können.

Die Debatte #MeTwo wurde ursprünglich auf Grund der rassistischen Äußerungen gegen den ehemaligen Fußball Nationalspieler Mesut Özil ausgelöst. Während des Wahlkampfes in der Türkei postete der ehemalige Nationalmannschaftsspieler ein Foto mit dem türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdoğan. Der DFB entschied sich, Özil trotzdem mit zur WM nach Russland zu nehmen. Nach der Niederlage der Deutschen wurde dieser jedoch mit rassistischen Äußerungen angegangen. Am 23. Juli 2018 trat Özil mit dem Vorwurf des Rassismus aus der Nationalmannschaft zurück – eine Konsequenz, die es in dieser Form bisher noch nicht gegeben hat.

Dass der Post eines Fotos mit Staatspräsident Erdoğan für Özil Kritik bedeutet, war zu erwarten. Seine Erklärung, dieses Foto stünde in keinem politischen Kontext ist schlicht und einfach unglaubwürdig. Als Mitglied der Fußball-Nationalmannschaft hat man für viele eine Art Vorbildfunktion. Ein Zuspruch gegenüber einem Staatspräsidenten, der die demokratischen Grundwerte missachtet und der sein Land spaltet, kann und darf nicht folgenlos bleiben.

Doch die Folge des DFB war – Özil fährt mit nach Russland zur WM. Erst nach der Niederlage der Deutschen wurde plötzlich auch der deutschen Bevölkerung klar, „Özil, das geht nicht“. Rassistische Äußerungen folgten. Hier stellt sich die zentrale Frage: Was wäre passiert, wenn Deutschland die Fußballweltmeisterschaft vielleicht gewonnen hätte? Sieg oder Niederlage sind verbunden mit der Zuordnung Özils als Deutscher oder Fremder. Mesut Özils Konsequenz daraus:Er trat am 23.Juli 2018 aus der Nationalmannschaft mit einer klaren Stellungnahme zurück. Sein Rücktritt löste eine Rassismus-Debatte aus. Eine Debatte, die längst überfällig war und über einen Prominenten nun ins Rollen gebracht wurde. Angelehnt ist die Debatte an den weltweiten #MeToo Skandal, in dem es um Sexismus-Vorwürfe in Hollywood ging.

Nun stehen die Stimmen von Menschen im Vordergrund, die über alltägliche Diskriminierungserfahrungen berichten. Die schnell anwachsende Zahl an Personen, die an der Debatte teilnehmen, zeigt, dass es längst an der Zeit war. Plötzlich kommt etwas ans Licht, wovon man eigentlich die ganze Zeit gewusst hat, ein Thema, das jedoch keinen öffentlichen und breiten Diskurs gefunden hat. Inwiefern Özil, der mit einem Staatspräsidenten wie Erdoğan sympathisiert, eine „Identifikationsfigur“ für eine Debatte gegen Rassismus sein kann, bleibt fraglich.

Bundesvorsitzender der Grünen, Robert Habeck, äußerte sich über Twitter zu Recht, indem er sagte: “Sprache schafft Welt und Wirklichkeit. Die Alltagserfahrungen von Diskriminierung und Rassismus unter #MeTwo sind nicht nur persönliche Geschichten. Sie sind eine politische Bewegung für Anerkennung und Respekt.“ Fangen wir also an, den Menschen zuzuhören und ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass Rassismus in Deutschland ein alltägliches Problem ist, gegen das wir vorgehen müssen!

 

Bericht zur Filmvorstellung mit Diskussionsrunde – The True Cost

Am Mittwoch den 1.8.2018 kamen knapp 30 Leute im klimatisierten Gießener Jokus zusammen, um den Dokumentarfilm „The True Cost – Der Preis der Mode“ zu schauen“, der sich kritisch mit der Textilindustrie auseinandersetzt.

Der US-amerikanische Film von Andrew Morgan wurde in Originalsprache mit deutschen Untertiteln gezeigt. Wie in seinen anderen Filmen „After the End“, „It Remains“, „The Heretic“, wirft der  Regisseur ein neues Licht auf ein altbekanntes Thema. Innerhalb von 92 Minuten wird die Modeindustrie in ihrer schädlichen Form für Mensch und Natur gezeigt.

Zu Beginn des Films wird berichtet, dass wir uns nichtmehr in einer Modewelt befinden, die sich an den vier Jahreszeiten orientiert, sondern an den 52 Wochen des Jahres. Für diese Art der Vertriebsstrategie wird der Begriff „Fast Fashion“ angeführt. Wie bei Fast Food geht es dabei nicht um die nachhaltige Produktion der Ware und den bewussten Konsum, sondern vielmehr um das schelle Produzieren und Verbrauchen derselben. Somit wird oft aufgrund gewisser Trends Kleidung erworben, ohne den Gesichtspunkt der Nützlichkeit im Alltag zu bedenken. Eine Stimme des Films spitzt diesen Sachverhalt noch weiter zu. Es ist davon die Rede, dass es ursprünglich einmal Waren gab, die wir aufgebraucht haben – wie etwa Zigaretten und Kaugummis – und Waren, die wir gebraucht haben – wie etwa Waschmaschinen und Kleidung. Diese Grenze sei in den letzten Dekaden immer mehr verschwommen und habe in einer Wegwerfgesellschaft kumuliert.

Anschließend beschleunigen sich die Bilder des Filmes: Strahlende Bilder von sogenannten „Influencern“ und den Laufstegen der Welt wechseln mit erschreckenden Bildern aus der Kleidungsherstellungskette. Es wird etwa von dem Teufelskreis berichtet, in dem sich viele indische Baumwollbauern befinden. Sie kaufen ihr Saatgut von Großkonzernen wie Monsanto, die sie durch ihr Preisdiktat zum Kauf seiner genmanipulierten Produkte zwingt. Um dieses jedoch anbauen zu können, müssen sie Düngemittel und Pestizide von eben denselben Konzernen kaufen. Der Ertrag bleibt dabei auf der Strecke. Der unrentable Berufszweig verursacht unbezahlbare Schulden, sodass sich jährlich über 20.000 indische Landwirtinnen und Landwirte das Leben nehmen.

Außerdem werden Bilder vom Gebäudeeinsturz des Rana Plazas gezeigt. Im April des Jahres 2013 wurden in den Trümmern des achtstöckigen Fabrikgebäudes in Dhaka, Bangladesch über 1.100 Menschen begraben. Dieser Vorfall ist eingetreten, obwohl die darin befindlichen Näher:innen am Vortag ihre Bedenken über Risse in der Wand und die Stabilität des Gebäudes geäußert hatten. Mit hektischen und lauten Aufnahmen wird auch vom blutigen Niederschlagen einer kambodschanischen Demonstration von Textilarbeiter:innnen berichtet. Die Polizei und das Militär verletzten viele Demonstrierenden mit Stöcken und töten sie gar mit Schusswaffen. Die Forderung der Arbeitnehmenden war lediglich ein Monatslohn von 160$.

Neben diesen negativen Auswirkungen der Textilindustrie werden immer wieder Projekte eingestreut, die sich von der konventionellen Produktionskette abkapseln. Der kalifornische Hersteller von Outdoor-Kleidung Patagonia wird als Beispiel für ökologische und nachhaltige Kleidung angeführt. Lucy Siegle, Gründerin und CEO von People Tree, zeigt auch die faire und ökologische Produktionskette ihres Modelabels.

Nach dieser polarisierenden Filmvorstellung wurde kontrovers über den Film diskutiert. Ein wichtiger Streitpunkt war dabei, ob die Problematik vom Gesetzgeber oder vom Konsumenten angegangen werden sollte. In der Diskussion stellte sich auch heraus, dass die Aufklärung über den Sachverhalt eine wichtige Rolle spielt. Als Fragen zur ökologischen und fairen Herstellung in Deutschland aufkamen, meldete sich Tam Herring zu Wort. Die zertifizierte Ausbilderin für Änderungsschneiderei konnte durch ihr Wissen im Bereich Upcycling und ökologischer Maßanfertigung einen wichtigen Beitrag zu Diskussion leisten.

Wer den Film noch nicht gesehen hat, mag auf Emma Watsons Worte hören: „Watch The True Cost!

 

 

Hier findest du mehr Informationen zu…

Initiativen für faire Herstellung:

fashionrevolution.org

cleanclothes.org

Ökologische und Faire Kleidung:

hessnatur.com (Butzbach)

foster-natur.de (Marburg)

twothirds.com (Spanien)

greenality.de (Stuttgart)

Altkleiderverwertung in Gießen:

Bahnhofsmission

Rotes Kreuz

Secondhand Boutique Plaza (Neustadt)