“Nur in La Paz bekommst du einheimische Frauen zu sehen, die mehr Schläge verteilen als Türsteher an einem Samstagabend!” Solche Anzeigen liest man, wenn man sich in der bolivianischen Großstadt nach Aktivitäten umschaut. Für 60 BOB (7,50€) werden Tourist:innen von einem ausrangierten Vehikel, das an einen amerikanischen Schulbus erinnert, an ihrem Hostel abgeholt. Nach einer holprigen Fahrt nach El Alto, werden sie dann mit Popcorn, Cola und billigen Souvenirs versorgt, um in einer kühlen Lagerhalle auf Plastikstühlen sitzend einen Ring vorzufinden. Kreischende Musik und ungewollt asynchrone Tänzerinnen leiten das Spektakel ein. Nachdem ein als Fliege verkleideter Mann einen anderen in einem Clownskostüm in einer Runde besiegt hat, beginnen die wahren Kämpfe: Die Cholitas prügeln mit harten Schlägen aufeinander ein und sorgen in den ersten Reihen des Publikums dafür, dass Zuschauende vor Angst ein Stück zurückrücken.
Doch wer sind diese Cholitas? Und warum lassen sie sich so zur Schau stellen? Läuft man durch La Paz, findet man sie in jeder Straße. Sei es, dass sie traditionelle Speisen zubereiten, Obst, Gemüse oder handgewebte Kleider anbieten oder in ihren bunten Tüchern kiloschwere Einkäufe auf dem Rücken transportieren. Man erkennt die indigenen Frauen leicht am Bombin (Melonenhut), der Manta (Schultertuch) und der Pollera (Überrock). Unter letzterer befinden sich bis zu zehn Centros (Unterröcke), die sie oft rundlich erscheinen lassen. Jedoch ist diese Tracht keineswegs indigener Herkunft. In den 1920er Jahren begannen die Cholitas ihre indigenen Kleider abzulegen und die aus Europa eingeführte Mode zu tragen. Dabei sticht der Hut besonders hervor. Er hat seinen Ursprung in einer Fehleinschätzung des Herstellers, der eine große Lieferung nach Bolivien einführte, die bei den einheimischen Männern keinen Anklang fand. So wurden sie an arme Frauen vermarktet und halten sich bis heute als Kopfbedeckung.
Jahrhunderte lang waren die Cholitas Opfer von Rassismus und aus der Öffentlichkeit ausgegrenzt. Dies führte dazu, dass immer weniger Mädchen die traditionelle Kleidung tragen wollten. Doch die Zeiten haben sich geändert: Heutzutage findet man Cholitas in angesehenen Berufen wie beispielsweise Bankangestellte und Sekretärinnen. Sie tragen nicht selten teuren Schmuck, haben Goldzähne und manche wohnen sogar in bunten Häusern, die die unverputzten Nachbarhäuser aus Backstein in den Schatten stellen. Für ein erhöhtes Ansehen der Cholitas sorgt auch das Wrestling. Der Sport fand in den 1970er Jahren seinen Weg von Mexiko nach Südamerika. Im männerdominierten Metier hatten es die Damen zunächst schwer sich zu behaupten. Doch 2005 setzten sie sich gegen den Machismo durch und kämpften zum ersten Mal im Ring gegeneinander: Die Gebutsstunde des Cholitawrestling.
Im Ring hat der letzte Kampf begonnen. Zwei Cholitas sind zu sehen. Eins gegen eins. Nachdem die stämmige unfair kämpfende Dame im grünen Rock scheinbar die Oberhand gewonnen hat, liefert sie sich ein Wortgefecht mit dem Publikum. Unter den sich überschlagenden Worten des Moderators rafft sich ihre Kontrahentin auf und setzt nach zwei heftigen Schlägen zum finalen Stoß an: Sie besteigt eine Ecke des Rings, wartet bis sich der grüne Rock zu ihr dreht und stürzt sich auf ihn. UNO, DOS, TRES! Sieg! Die Zuschauer:innen sind außer sich. Eine der Organisatorinnen erklärt im Bus nach La Paz, “80% des Publikums sind Bolivianer.” Es handelt sich also um keine reine Touristenattraktion. Jeden Donnerstag und Sonntag leitet sie die Tour und betont stolz: “This is a women-run business.” Ein Unternehmen, das von Frauen geführt wird.
Fact File Bolivien: Ca. 2 Millionen Bolivianer:innen leben in der Metropolregion La Paz. Die Stadt ist nicht nur Sitz der Regierung, dort befindet sich auch der Teleférico, ein Seilbahnnetz, das für 3 BOB (40ct) pro Fahrt die Einwohner:innen durch die Stadt transportiert. Davon profitieren vor allem die Einwohner:innen der armen Region El Alto. Das Projekt wurde 2014 vom sozialistischen Präsidenten Evo Morales initiiert, der seit 2006 das Land regiert. Unter dem ersten indigenen Präsidenten ist die Mittelschicht wirtschaftlich erstarkt, die medizinische Versorgung besser geworden und die Alphabetisierung vorangeschritten. Zudem wurden die Rechte der indigenen Bevölkerung gestärkt und die Gleichberechtigung der Frau vorangetrieben (mehr als 50% der Abgeordneten sind Frauen). Jedoch werfen ihm Kritiker vor, machtgierig zu sein. Es heißt, er habe den Namen des Staates “Plurinationaler Staat” und somit die Verfassung nur geändert, um sich eine weitere Legislaturperiode zu sichern. Zudem würde er die Cocabauern privilegieren und habe sich mit seiner 29-stöckigen und 30-Millionen-Euro-teuren Präsidialresidenz ein Denkmal gesetzt.