Ich sehe was, was du nicht siehst, und das ist im Sudan

30 Jahre lang herrschte im Sudan eine grausame Diktatur unter dem Präsidenten Omar al-Baschir.[1] Durch einen Militärputsch erlangte er 1989 die Macht, in seiner gesamten Amtszeit herrschten im Sudan bewaffnete Konflikte und Bürgerkrieg. So zum Beispiel in Darfur, wo seit 2003 Regierungstruppen und die arabische Reitermiliz Dschanschawid einen bewaffneten Konflikt gegen Rebellentruppen führen, die Widerstand gegen die Ausgrenzung bestimmter Bevölkerungsgruppen leisteten.[2]  In diesem Konflikt wurde auch immer wieder die unbeteiligte Zivilbevölkerung angegriffen. Besonders gegen Zivilist_innen, die zu der gleichen ethnischen Gruppe wie die Rebell_innen gehörten, betrieben die Regierungstruppen eine systematische „ethnische Säuberung“.[3] Inzwischen herrscht in der Region zwar ein relativer Waffenstillstand, eine Lösung des Konflikts liegt jedoch in weiter Ferne. „Gewalttätige Auseinandersetzungen […] [und] anderweitig motivierte Kriegshandlungen“ sind noch immer an der Tagesordnung.[4] Im vergangenen Jahr wurden laut Amnesty International mindestens 45 sudanesische Dörfer teilweise oder vollständig zerstört.[5]

Im Dezember 2018 begann eine breite Protestbewegung, obwohl al Baschir ein Demonstrationsverbot verhängt hatte. Anfangs richteten sich die Proteste hauptsächlich gegen Brot- und Kraftstoffsubventionen, schlugen jedoch bald um, in Wut über die Herrschaft des Präsidenten und die Forderung seines Rücktritts.[6]

Im April dieses Jahres wurde al Baschir schließlich unerwartet von Militär und Sicherheitsdiensten gestürzt und sitzt nun im Kobar-Gefängnis, in dem er früher selbst seine politischen Gegner foltern ließ.[7] Für die Zivilbevölkerung gab es jedoch nicht viel Grund zur Freude, denn der Präsident wurde vorübergehend durch einen Militärrat ersetzt, seitdem ringen Militär und Opposition um die Bildung einer neuen Regierung. Zivilist_innen fordern die Einsetzung einer zivilen Regierung und eine breite Protestbewegung besetzte öffentliche Plätze und Straßen.[8] Die Proteste und Blockaden der Opposition liefen lange Zeit friedlich ab, bis am 3. Juni eine Sitzblockade in der Hauptstadt Khartum von Sicherheitskräften gewaltsam niedergeschlagen wurde.[9] Bei dem blutigen Massaker wurden mehr als 118 Menschen getötet[10], unter den Opfern befand sich mindestens ein Kind.[11] Mit Knüppeln, Stöcken und Peitschen wurde auf Demonstrierende eingeschlagen.[12] Hunderte wurden verletzt, Leichen wurden im nahegelegenen Nil entsorgt und Hilfskräften wurde der Zugang zu Krankenhäusern verwehrt.[13] Augenzeug_innen berichten von Vergewaltigungen und Folter.[14]

Die Masse der protestierenden Oppositionsmitglieder auf den Straßen sowie die internationale Aufmerksamkeit sind das stärkste Druckmittel der Zivilbevölkerung gegen das Militär.[15] Deshalb wurde nach dem 3. Juni zunächst der mobile Internetzugang im Sudan blockiert, sodass es der Zivilbevölkerung kaum möglich war, Berichte aus den Protestzentren weiterzuleiten, sich über soziale Netzwerke zu organisieren oder Familienmitglieder und Freunde in anderen Ländern zu erreichen. Als eine Woche später dennoch Berichte von Mord, Vergewaltigung und Gewalt nach außen drangen, wurde auch die Festnetzverbindung stillgelegt.[16]

Seitdem gibt es internationale Bemühungen in der Bevölkerung, auf die katastrophale Lage im Sudan aufmerksam zu machen. Unter dem Hashtag #BlueForSudan rufen Social Media User dazu auf, Profilbilder in einen bestimmten Blauton zu ändern, um Aufmerksamkeit auf die Menschenrechtsverletzungen zu lenken. Es handelt sich dabei um die Lieblingsfarbe des 26-jährigen Mohamed Mattar, der am 3. Juni bei dem Versuch, zwei Frauen vor den brutalen Sicherheitskräften zu schützen, selbst erschossen wurde.[17]

@Saad_Alasad schreibt am 12. Juni auf Twitter:

The color blue, one of our martyrs (Mattar) favorite color, started as a tribute to him, now turned to a symbol of all our martyrs, and their dreams of a better Sudan.#BlueForSudan#IAmSudaneseRevolution[18]

Die Berichterstattung der größeren Nachrichtenagenturen lässt derweil zu wünschen übrig. Vor allem, wenn man sich in Erinnerung ruft, dass man vor knapp zwei Monaten beim Brand von Notre Dame den Meldungen darüber gar nicht aus dem Weg gehen konnte. In kürzester Zeit wurden unvorstellbare Spendengelder zugesagt – insgesamt ganze 900 Millionen Euro.[19] Über das Leid der Menschen im Sudan wird von den meisten lieber hinweggesehen. Informationen über die aktuelle Lage muss man sich zu großen Teilen selbst mühsam zusammensuchen. Auch hier soll die Social Media Kampagne #BlueForSudan Druck ausüben. Wenn ihr also etwas tun wollt, aber nicht Spenden könnt, dann informiert euch und teilt so viele Informationen wie möglich mit eurem Umfeld. Benutzt die Hashtags #iamthesudanrevolution und #sudanuprising um die unmenschlichen Zustände weiter in die öffentliche Debatte zu rücken. Außerdem gibt es hier eine Petition, die verlangt, dass die UN im Fall der Menschenrechtsverletzungen des 3. Juni durch das Militär ermittelt.

 

[1] https://www.zeit.de/politik/ausland/2019-04/al-baschir-sudan-diktator-sturz-protestbewegung-ungewissheit

[2] http://www.bpb.de/internationales/weltweit/innerstaatliche-konflikte/54699/sudan-darfur

[3] https://www.hrw.org/de/news/2008/04/25/die-krise-darfur

[4] http://www.bpb.de/internationales/weltweit/innerstaatliche-konflikte/54699/sudan-darfur

[5] https://globalnews.ca/news/5402840/sudan-unrest-what-to-know/

[6] https://www.bbc.com/news/av/world-africa-47407539/sudan-protests-what-s-going-on

[7] https://www.spiegel.de/politik/ausland/sudan-die-wut-auf-den-strassen-von-karthoum-a-1266346.html

[8] https://www.zeit.de/politik/ausland/2019-04/al-baschir-sudan-diktator-sturz-protestbewegung-ungewissheit

[9] https://www.tagesschau.de/ausland/sudan-229~_origin-cfad4bd2-6679-4276-8b13-5156d60feada.html

[10] https://www.aljazeera.com/news/africa/2019/06/sudan-president-omar-al-bashir-court-190615142442170.html

[11] https://www.aljazeera.com/news/2019/06/massacre-sudan-forces-kill-30-protesters-190603163458318.html

[12] https://www.tagesschau.de/ausland/sudan-229~_origin-cfad4bd2-6679-4276-8b13-5156d60feada.html

[13] https://www.aljazeera.com/news/2019/06/massacre-sudan-forces-kill-30-protesters-190603163458318.html

[14] Global News Podcast am 06.06.2019: “Sudan: Further details of violence and abuse emerge days after civilians killed by security forces”. Minute 3:03 / Minute 3:38. Online: https://www.bbc.co.uk/programmes/p07cg9sf

[15] https://www.spiegel.de/politik/ausland/sudan-die-wut-auf-den-strassen-von-karthoum-a-1266346.html

[16] https://www.aljazeera.com/indepth/features/internet-blackouts-rise-government-imposed-shut-downs-190614091628723.html

[17] https://www.aljazeera.com/news/2019/06/blueforsudan-social-media-turning-blue-sudan-190613132528243.html

[18] https://t.co/3LMxrtBOvi

[19] https://www.spiegel.de/politik/ausland/notre-dame-und-die-spenden-der-reichen-dafuer-ist-geld-da-a-1263958.html

Von großen Füßen und kleinen Schritten

Mit Andi (1) beim Mensen fällt das Gespräch auf das Lieblingsthema aller Männer: Schuhe. Seit er letztes Jahr bei unserer Mitmission-Movie-Night “The True Cost” gesehen hat, fällt ihm der Schuhkauf leider ziemlich schwer. Er legt jetzt nämlich größeren Wert darauf, dass seine Sneakers fair gefertigt, also ‚gefairtigt‘ (kleine Wortspielerei am Rande), werden und idealerweise noch nachhaltig sind. Schön, dass der Film so einen bleibenden Eindruck hinterlassen hat, doof nur, dass Andis neue Kaufkriterien schon eine Einschränkung sind. Und dann hat der Gute auch noch Schuhgröße 46. Besonders dann wird dies zur Herausforderung, wenn man außerdem noch auf Kriegsfuß mit namhaften Online-Versandriesen steht. Am Ende hat es auch nicht so ganz geklappt und Andi wollte eher nicht zu den Barfüßlern überlaufen, aber als Konsument hat er auf jeden Fall sehr bewusst gehandelt.

 

Im WhatsApp-Chat erfahre ich von Daniela, dass sie hinsichtlich ihres USA-Urlaubs mit ihrem Mann und ihren beiden Kindern sehr gemischte Gefühle hat. Sie freut sich darauf, ihren Kindern so viel zeigen zu können und natürlich auch selbst neue Eindrücke zu sammeln und eine uns vermeintlich so vertraute Kultur zu erleben. Gleichzeitig bereitet ihr der mächtige CO2-Fußabdruck dieses Urlaubs etwas Bauchschmerzen. Sie unternimmt diese Reise einerseits für ihre Kinder, um ihnen etwas bieten zu können, andererseits ist es ihr in Zeiten von Fridays for Future gegenwärtiger denn je, dass wir etwas ändern müssen, dass wir entschlossenen Klimaschutz brauchen, um der heranwachsenden Generation eine Zukunft mit noch lösbaren Problemen bieten zu können. Sich während des Urlaubs den Kopf zu zerbrechen, wäre unsinnig, weil man sich die Reise dann hätte sparen können, das ist ihr klar. Im Bewusstsein ihrer Verantwortung macht sie sich aber schon Gedanken, wie sie CO2 einsparen kann. Das ist ihr vielleicht nicht bewusst, aber mit der Erziehung ihrer Kinder zu umweltbewussten Menschen leistet sie einen wichtigen Beitrag. Das muss ich ihr mal sagen.

 

Beim ESC-Schauen (Eurovision Song Contest) bei Christoph – auch schon wieder eine Weile her – unterhalten wir uns in kleiner Runde, also Christoph und ich, über den Unverpackt-Laden in Gießen, der mittlerweile etwas expandiert hat. Beim ESC hatte der Laden aber noch seine alte Größe und da Christoph mit seiner Frau und der einjährigen Tochter nun nach Bremen gezogen ist – DAS war vielleicht ein Umzug – wird er im vergrößerten Unverpackt-Laden wohl seltener anzutreffen sein. Wir unterhalten uns also über den Laden, weil von Mal zu Mal, wenn ich zu Besuch bin, mehr Schraubgläser im Küchenregal stehen. Reis, Rosinen, Nüsse und einiges mehr findet sich dort nun in ansprechenden Gläsern und zeigt allen Besucher_innen, dass diese Lebensmittel auch wunderbar ohne Plastik aufbewahrt werden können. Dass wir heute Antipasti aus Plastikverpackungen essen, sei eine Ausnahme, entschuldigt er sich schon fast. Da ich noch über die vielen Gläser staune, nehme ich das nur so halb wahr, aber es scheint ihm wirklich ein schlechtes Gewissen zu machen, dass bei unserem ESC-Abend Plastikmüll anfällt. Vorbildlich habe ich selbstgemachte Pizzateigschnecken dabei; die Plastikverpackungen der Zutaten sind bei mir in der WG im Müll (vielleicht doch nicht so vorbildlich). Trotzdem haben wir einen super Abend, der auch durch das schon fast traditionell schlechte Abschneiden des deutschen Beitrags nicht weniger schön wird. Der Griff zu den Snacks ist diesmal aber deutlich bewusster. Den nächsten ESC sollten wir plastikfrei hinbekommen.

 

Drei kleine Anekdoten, die mittlerweile hoffentlich einen roten Faden erkennen lassen: Sie zeigen in kurzen Ausschnitten, dass gerade einiges beim Klima- und Umweltschutz in Bewegung ist, was mich hoffen lässt. Es wird nicht reichen, auf die Unterstützung der eher schwerfälligen Politik zu warten, die sich dieser Tage mehr mit sich selbst, ihrer Wirkung auf potentielle Wähler_innen und diesem noch immer mysteriös anmutenden Internet beschäftigt. Daniela, die gerade in den USA ist, verriet mir, dass ihr der Umweltschutz mit etwas Unterstützung durch gesetzliche Verbindlichkeit deutlich leichter fiele. Im Warten auf diese Hilfe, können wir uns aber alle Schritt für Schritt bemühen, unseren eigenen Beitrag zu leisten. Es wäre gut, wenn wir all unsere klimaschädlichen Gewohnheiten sofort hinter uns lassen könnten, aber das gelingt nur den Wenigsten. Und wie bei einer schlechten Diät hält man es einfach nicht durch und wird rückfällig. Der Mensch ist ein Gewohnheitstier und deshalb plädiere ich dafür, nicht aus Überforderung zu resignieren, sondern langsam persönliche Fortschritte zu einem nachhaltigeren Leben zu machen. Klingt doch machbar. Mach doch mit!

 

(1) Alle Namen wurden geändert, die Ereignisse und Personen sind aber real.

 

Ein paar Links zur Anregung:

https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/aldi-plastiktueten-kosten-beutel-gemuese-obst-1.4480982

https://www.tagesschau.de/wirtschaft/gruene-amazon-101.html

https://utopia.de/eu-verbietet-einwegplastik-109824/

https://fridaysforfuture.de/

Dennis Koch